Die sog. Scheinselbstständigkeit wird strafrechtlich unter den Begriff der “Schwarzarbeit” gefasst, weil es auch hierbei um die Frage geht, ob Sozialversicherungsbeiträge zu Unrecht nicht abgeführt worden sind. § 266 a StGB stellt das Vorenthalten und das Veruntreuen von Arbeitsentgelt unter Strafe.
Bei der Scheinselbstständigkeit geht es in der Praxis zumeist um die Abgrenzung zwischen einer echten Selbstständigkeit und einer Schein-Selbstständigkeit. Die Kriterien hierfür sind ebenso komplex wie umfangreich.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass es sowohl im (Lohn-) Steuerrecht wie auch im Sozialversicherungsrecht Kriterien gibt und die Abgrenzung von echter Selbstständigkeit zur Scheinselbstständigkeit sozialversicherungsrechtlich, lohnsteuerrechtlich und strafrechtlich unterschiedlich ausfallen kann und jeweils eigenen Regeln folgt.
§ 1 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) definiert – lohn-steuerrechtlich – Arbeitnehmer als Personen, die in öffentlichem oder privatem Dienst angestellt oder beschäftigt sind oder waren und die aus diesem Dienstverhältnis oder einem früheren Dienstverhältnis Arbeitslohn beziehen. Nach § 1 Abs. 2 LStDV liegt ein Dienstverhältnis dann vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber (Öffentliche Körperschaft, Unternehmer, Haushaltsvor-stand) seine Arbeitskraft schuldet.
Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitsgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist.
§ 1 Abs. 3 LStDV sagt ferner aus, dass Arbeitnehmer nicht ist, wer Lieferungen oder sonstige Leistungen innerhalb der von ihm selbstständig ausgeübten gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Inland gegen Entgelt ausführt, soweit es sich um die Entgelte für diese Lieferungen oder sonstigen Leistungen handelt.
Ob eine Tätigkeit als abhängiges Beschäftigungsverhältnis ausgeübt oder aber auf Honorarbasis selbstständig erbracht wird, ist nicht nach der Bezeichnung des Vertragsverhältnisses zu entscheiden. Ausschlaggebend ist vielmehr die inhaltliche Ausgestaltung und die tatsächliche Durchführung. Ganz gleich also, ob über dem Vertrag “Freier Mitarbeiter” steht, ist entscheidend, ob dieser Mitarbeiter letztlich in den Betrieb seines Auftraggebers eingegliedert ist oder aber ob er Unternehmer-initiative und Unternehmerrisiko tragen muss.
Liegt eine selbstständige Tätigkeit vor, besteht – von wenigen Ausnahmen in der Rentenversicherung abgesehen – grundsätzlich keine Versicherungspflicht.
Hinsichtlich der Lohnsteuer, die lediglich für den abhängig Beschäftigten abzuführen ist, ergeben sich weitere Abgrenzungskriterien aus den Einkommensteuerrichtlinien R 15.1 EStR und R 18.1 EStR. Dort finden sich beispielsweise weitere Abgrenzungskriterien zu verschiedenen Berufsgruppen, wie Versicherungsvertreter, Hausgewerbe-treibender, Heimarbeiter, Ärzte, Erfinder etc.. Die Richtlinie H 19.0 LStH gibt noch mehr Abgrenzungskriterien zu § 19 EStG an die Hand, die für die Abgrenzung von Arbeitnehmern zu Selbstständigen geprüft werden können. Darüber hinaus enthält die Richtlinie H 19.0 LStH eine Aufzählung einer Vielzahl von Berufsgruppen, die alphabetisch sortiert sind.
Sozialversicherungsrechtlich bildet § 7 SGB IV die Rechtsgrundlage für die Abgrenzung von echter Selbstständigkeit zur Scheinselbstständigkeit. Diese Regelung definiert den Begriff der unselbstständigen Beschäftigung. Darüber hinaus enthält das gemeinsame Rundschreiben der Sozialversicherungsträger zum 21.03.2019 (GR v. 21.03.2019 -II) detaillierte und ausführliche Aussagen zur Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung zur echten Selbstständigkeit.
Daneben gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung zu beachten.
Die Frage, ob ein Beschäftigter seine Arbeitsleistung als Arbeitnehmer oder als Selbstständiger erbringt, ist zum Teil schwierig zu beantworten. Die Grenze zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit ist fließend und häufig nicht eindeutig zu beantworten.
Bei der Abgrenzung kommt es weniger auf eine formale Betrachtung, etwa die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses als Arbeitsvertrag oder freies Mitarbeiterver-hältnis an. Die tatsächliche Durchführung ist vielmehr ausschlaggebend, die in der
strafrechtlichen Praxis durch eine umfangreiche Beweisaufnahme aufzuklären ist.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass nur derjenige selbstständig ist, der Weisungen eines Dritten nicht zu befolgen hat und der auf eigene Rechnung und Gefahr arbeitet. Die entscheidenden Kriterien für eine selbstständige Tätigkeit ist also eine (mehr oder weniger) freie Bestimmung und Gestaltung der Betätigung, insbesondere die Organisation und der Ablauf der eigenen Tätigkeit sowie die Möglichkeit, seine Leistung auf dem Markt unternehmerisch, also auch gegenüber mehreren Auftraggebern, anzubieten; man spricht auch von der sog. Unternehmerinitiative. Damit einher geht das verbundene Risiko der Entlohnung; der Selbstständige muss also auf eigene Rechnung am Markt tätig werden können (sog. Unternehmerrisiko).
Der selbstständig Tätige kann mithin durch ein erfolgreiches Auftreten am Markt seine Vergütung steigern. Zugleich trägt er aber auch das wirtschaftliche Risiko, dass sich die von ihm angebotene Leistung nicht gewinnbringend vermarkten lässt. Eine Unternehmerinitiative kann sich auch darin zeigen, dass der Auftragnehmer berechtigt ist, seinerseits die Arbeitsleistung durch Dritte, nämlich etwa durch von ihm selbst beschäftigte Arbeitnehmer oder Subunternehmer, erbringen zu lassen.
Die für den Arbeitnehmer typischerweise fremd bestimmte Tätigkeit – in Abgrenzung zur selbstständigen Tätigkeit – kann anhand von verschiedenen Merkmalen indiziert werden. Dabei kommt es auf den jeweiligen Einzelfall und die dort vorgefundene tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses an. Merkmale, die für eine Arbeitnehmerschaft sprechen, können insbesondere sein:
-persönliche Abhängigkeit
-Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit
-feste Arbeitszeiten
-Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort
-feste Bezüge
-Urlaubsanspruch
-Anspruch auf sonstige Sozialleistungen
-Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall
-Überstundenvergütung
-zeitlicher Umfang der Dienstleistungen
-Unselbstständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit
-kein Unternehmerrisiko
-keine Unternehmerinitiative
-kein Kapitaleinsatz
-keine Pflicht zur Beschaffung von Arbeitsmitteln
-Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern
-Eingliederung in den Betrieb
-Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolges
-Ausführung von einfachen Tätigkeiten, bei denen eine Weisungsabhängigkeit die Regel ist
Die vorgenannten Kriterien stammen aus der Richtlinie H 19.0 LStH.
Weiter heißt es in der Richtlinie:
“Diese Merkmale ergeben sich regelmäßig aus dem bei Beschäftigung zugrunde liegenden Vertragsverhältnis, sofern die Vereinbarungen ernsthaft gewollt sind und tatsächlich durchgeführt werden (…). Dabei sind die für oder gegen ein Dienstverhältnis sprechenden Merkmale ihrer Bedeutung ent- sprechend gegeneinander abzuwägen. Die arbeitsrechtliche Fiktion eines Dienstverhältnisses ist steuerrechtlich nicht maßgebend (…).”
Auch die Weisungsgebundenheit – als prägendes Merkmal einer abhängigen Beschäftigung – kann von einem Fall zum nächsten ganz anders gestaltet sein. So heißt es in der Richtlinie H 19.0 LStH zur Weisungsgebundenheit:
“Die in § 1 Abs. 2 LStDV genannte Weisungsgebundenheit kann auf einem besonderen öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis beruhen, wie z.B. bei Beamten und Richtern, oder Ausfluss des Direktionsrechts sein, mit dem ein Arbeitgeber die Art und Weise, Ort, Zeit und Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung bestimmt. Die Weisungsbefugnis kann eng aber auch locker sein, wie z.B. bei einem angestellten Chefarzt, der fachlich weitgehend eigenverant- lich handelt; entscheidend ist, ob die beschäftigte Person einer etwaigen Weisung bei der Art und Weise der Ausführung der ge- schuldeten Arbeitsleistung zu folgen verpflichtet ist oder ob ein solches Weisungsrecht nicht besteht. Maßgebend ist das Innenver- hältnis; die Weisungsgebundenheit muss im Auftreten der be- schäftigten Person nach außen nicht erkennbar werden (…). Die Eingliederung in einen Betrieb kann auch bei einer kurzfristigen Beschäftigung gegeben sein, wie z.B. bei einem Apothekervertreter als Urlaubsvertretung. Sie ist aber eher bei einfachen als bei gehobenen Arbeiten anzunehmen, z.B. bei einem Gelegenheitsarbeiter, der zu bestimmten unter Aufsicht durchzuführenden Arbeiten heran- gezogen wird. Die vorstehenden Kriterien gelten auch für die Ent- scheidung, ob ein sog. Schwarzarbeiter Arbeitnehmer des Auftrag- gebers ist.”
Anwälte und Strafverteidiger können im Bereich der Scheinselbstständigkeit durch eine sorgfältige Argumentation und das klare Herausstellen der Merkmale, die der tatsächlichen Durchführung eines Vertrages ihr Gepräge geben, entscheidend auf den weiteren Verlauf eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Einfluss nehmen. Im Grenzbereich zwischen echter Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit, wenn möglicherweise verschiedene Behörden, Institutionen oder Personen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, lassen sich auch über den Tatvorsatz die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in eine Richtung lenken, dass der Betroffene mit einer Einstellung des Verfahrens oder aber einem Freispruch rechnen kann.
Lassen Sie sich deshalb frühzeitig beraten.